Besuch aus Amerika

Im Mai 2016 erhielt HILFE und HOFFNUNG ein Email aus Amerika. Die Tochter zweier emigrierter Wiener Juden wollte im September auf den Spuren ihrer Eltern durch Wien gehen und auch nach ihren Vorfahren in den Aufzeichnungen der IKG suchen. Sie hatte unseren Mail-Kontakt auf der Homepage der IKG entdeckt und auch an einige andere dort aufgelistete Organisationen geschrieben, bekam aber nur von uns eine Antwort. Wir übermittelten ihr die Email-Adresse einer Fremdenführerin und boten auch an, dass wir sie persönlich durch Wien führen könnten, falls der Kontakt zur Fremdenführerin nicht zustande käme . Insgeheim dachte ich, dass ich diese Amerikanerin und ihren Ehemann gern selbst durch Wien führen würde. Und so kam es dann auch. Die Fremdenführerin reagierte selbst nach zweimaliger Anfrage nicht und so hatte ich das Privileg, Celia und ihren Mann zu treffen und mit ihnen das Haus aufzusuchen, wo ihre Mutter vor ihrer Emigration wohnte. Es steht noch, selbst die Wohnung konnten wir ausfindig machen, da das Haus gerade renoviert wurde und wir dadurch in das Hinterhaus gelangen konnten, wo die Wohnung liegt. Für mich war es eine besondere Erfahrung, die Ergriffenheit zu spüren, mit der die Tochter durch das Haus ging, in der ihre Mutter vor ihrer Flucht wohnte. Am Gehsteig vor dem Haus stehend, überwog die Trauer über den Verlust ihrer Großeltern und ihrer Tante (der jüngsten Schwester ihrer Mutter), die von dieser Adresse im 2. Bezirk in ein Vernichtungslager deportiert und dort ermordet worden waren. Ihre Mutter hatte überlebt, da sie mit einem Kindertransport nach England entkommen konnte. Die zwei Brüder ihrer Mutter überlebten den Holocaust: ein Bruder konnte nach Shanghai entkommen, der zweite Bruder wurde in einem Flüchtlingslager auf Mauritius interniert.

Wir sind nun dabei, Stolpersteine für Celias ermordete Verwandten zu beantragen. Ein Stolperstein, das heißt der Name eines deportierten Menschen auf einem Messing-Pflasterstein, der in den Gehsteig vor dem Haus eingelassen wird, kostet ca. 1.000,00 Euro. Celia hat drei Namen an der letzten Wiener Adresse ihrer Mutter und mehrere Namen an der letzten Adresse ihres Vaters, der als einziger seiner Familie den Holocaust überlebte. Er wohnte gleich ums Eck im zweiten Bezirk. Auch dieses Haus ist von außen unverändert erhalten.

synagoge_20160905_151227Gegen Mittag gingen wir zur Synagoge in die Seitenstettengasse, da Celia die Hochzeitsplankette mit den Namen ihrer Großeltern väterlicherseits, von der ihr ihr Vater erzählt hatte, suchen wollte. Wir bekamen die Auskunft, dass es nur eine einzige Synagogenführung pro Tag gibt und zwar um 14:00 Uhr. Das passte uns recht gut. Zuvor gingen wir noch ums Eck zu MaschuMaschu israelisch essen. Niemand außer mir bemerkte, was für ein Wunder diese Zeiteinteilung war. Ich hatte mich vorher nicht wegen einer Führung erkundigt, da ich eher an das Matrikenamt dachte (Aufzeichnungen, in denen die Namen der Großeltern aufscheinen). Für dieses Amt hätte man überdies einen gesonderten Termin benötigt. Es gab nur die Synagogenführung und für die waren wir genau rechtzeitig hingekommen.

toraschrein_20160905_142839Die Führung durch die Synagoge war sehr interessant und aufschlussreich. Der Tora-Schrank war gerade zufällig geöffnet. Die Hochzeitsplankette ihrer Großeltern war allerdings unauffindbar. Celia fand die Namen ihrer Vorfahren schließlich im großen Buch, das beim Holocaust-Erinnerungsdenkmal im Foyer der Synagoge aufliegt.holocaustgedenken_20160905_151637

Anschließend schlenderten wir durch die Innenstadt zum Jüdischen Museum in der Dorotheergasse. Auf dem Graben meinte Celia, dass sie diese Straße sehr schön findet…..

Im Jüdischen Museum hatten wir freien Eintritt, da ich am Vortag an einer Führung im Museum am Judenplatz teilgenommen hatte (man muss ein Ticket für alle zwei jüdischen Museen kaufen; die meisten Teilnehmer der Führung hatten keine Gelegenheit, innerhalb von 4 Tagen auch das zweite jüdische Museum zu besuchen und so gaben mir zwei von ihnen ihr noch gültiges Ticket für das Jüdische Museum in der Dorotheergasse). Wir genossen die aktuelle Ausstellung und auch das Ambiente des Innenstadtpalais.

imcafehawelka_20160905_181947Schließlich tranken wir noch Kaffee im Cafe Hawelka.

Celia erzählte mir ein bisschen etwas über die Stadt, in der sie mit ihrer Familie in Kalifornien lebt: Laguna Niguel (ca. 90 km südlich von Los Angeles). Ich informierte mich über diese Stadt, von der ich vorher noch nie etwas gehört hatte und fand heraus, dass ein jüdischer Architekt aus Wien den Masterplan für Laguna Niguel entworfen hatte. Viktor Grün war 1938 aus Wien geflohen und machte sich in Amerika durch die Planung und dem Bau der ersten großen Einkaufszentren einen Namen. Und dann entwarf er u. a. eine ganze Stadt auf dem Reißbrett, die dann nach seinen Plänen gebaut wurde – Laguna Niguel.

1968 kehrte Viktor Grün nach Wien zurück und entwarf einen Verkehrsberuhigungsplan für Wien, von dem die Fußgängerzonen Kärntner Straße und Graben umgesetzt wurden.

Kein Wunder, dass Celia den Graben als sehr schön empfand – wurde er doch vom gleichen Architekten gestaltet wie ihre Heimatstadt Laguna Niguel!

Celia und ihr Mann Allen luden mich zu sich nach Hause ein. Ich möchte dieser Einladung sehr gern nachkommen, ganz besonders, wenn es sich mit meinem Filmprojekt verbinden lässt, für das noch ein Interview in Los Angeles geplant ist.

Celia erzählte mir während ihres Wien-Besuchs Anfang September viel von ihrem Vater. Nun teilte sie mir mit, dass er Mitte Dezember verstarb. Es ist ihr ein Trost, dass sie ihm noch von ihren Erlebnissen und Entdeckungen in Wien erzählen konnte. Durch ihre Spurensuche konnte sie die abgebrochene Verbindung zu ihren Vorfahren wiederaufnehmen und ihr Vater durfte daran noch teilhaben.

Wir bei HILFE und HOFFNUNG freuen uns, dass wir Celia und Allen nun kennen und zum Gelingen ihres Wien Besuchs beitragen konnten.

Elisabeth (Ende Dezember 2016)